Der Algorithmus des Meeres



Und, was steht drin?, fragt Maro schließlich.
Eine der zwei Geschichten, erklärt die alte Lina: Ein Mann geht auf Reisen oder ein Fremder kommt in die Stadt.
Ihr Stövchen, ein Teelicht; die Kanne dampft. Draußen rauscht die Flut über den Sand.
Jetzt sag schon …
Junge trifft Mädchen? Licht gegen Schatten? Sie zwinkert, während sie eine Tasse aus dem Regal nimmt.
Ach, du bist doof.
Nein. Du hörst mir nicht zu!


Frank Hebben
Hardcover, 132 Seiten, 17,90 €
ISBN: 978-3-95777-049-3
Taschenbuch, 132 Seiten, 11,90
ISBN: 978-3-95777-069-1
Umschlagbild und Illustration: Thomas Franke
Mit einem Nachwort von Karla Schmidt

Algorithmus erringt 3. Platz beim Kurd-Laßwitz-Preis 2016
in der Kategorie Roman!

Gewinner des Scoutz-Awards 2016 in der Kategorie Science Fiction!



»Die Schreibe ist sehr dicht, sehr intensiv und ruft starke Bilder in einem wach. Von mir ein herzhaftes: Weiter so, Herr Kollege!«
— Andreas Eschbach



Teaser


VIOLETT IST das Meer, morgens; und abends, wenn die Dunkelheit fällt; mittags am Fenster so grell, dass der Schaum zerplatzt – weit unten kratzt es am Beton, wühlt zwischen Abfall und Tang, rollt gurgelnd ein Ölfass, das angeschwemmt wurde und stinkt. Dumpf, weil die Luft an der Haut klebt, hört er den Wellen zu, wie sie knistern und zischen, schlaflos, verloren, bis er die Augen öffnet: das Zimmer, sein Bett. Maro streift das Laken von seinen Füßen, zu heiß, und liegt nackt, lange Zeit. Mit zwei Fingern wischt er einen Tropfen von der Wand, schmeckt ihn: salzig; der ganze Bau schwitzt, die Tapeten sind blasig, gewellt; rechts die Regale mit Pflanzen, ein Windspiel aus Gabeln, das ihm Kassandra geschenkt hat, blinkt, und das Bad, mit einer Wasserpumpe; keine parfümierte Seife, keine bestickten Handtücher – wie es im Hotel üblich war, früher; meint die alte Lina.

Eine flache Hand auf dem Bauch, den er reibt, an Härchen zupft und sich selbst anfassen will, als ein Vogel keift, sodass er den Arm zurückzieht, still wartet, dann hustend aufsteht, nur um wieder am Tisch zu sitzen, Kopf unten, sein Nacken glänzt. So starrt Maro die Skizzen an: Flügel auf Papier. Er greift nach dem Bleistift, zeichnet eine Feder nach, seufzt. Diese Hitze. In einer Brise weht schlechter Atem herein; das Besteck klimpert. Die Sonne steigt auf. Maro wartet, mit brennenden Augen, während er zum Horizont schaut, die Tränen wegblinzelt. Wie das Meer heute blendet – ein Spiegel, und kaum Schaum; erst bei der Treppe werden die Wogen kraus, bevor sie über Miesmuscheln lecken, am Plastik ziehen: Trinkflaschen und strähnige Tüten, zu Fetzen zerschnitten. Ich weiß nicht, sagt Maro. Etwas ist anders.

Ihr Glöckchen am Halsband, es funkelt und schellt, als seine Katze aufs Fenstersims springt: Loreley – sie legt die Pfote ans Glas, maunzt; und er öffnet spaltbreit, damit sie auf den Tisch klettern kann, wo sie moosige Tatzen auf dem Papier hinterlässt. Maro beugt sich vor, steckt seine Nase ins Fell, das nach Sand und Tabak riecht: Die Katze ist bei ihr gewesen; und zur Begrüßung leckt sie ihm das Salz von den Fingern, streift vorbei, plumpst in sein Bett, wie jeden Tag, und rollt sich ein und döst – ein Umriss an der Wand, die Ohren sind zwei Zacken.